Ein Tag mit der Sozialen Arbeit in den Straßen von São Paulo

Bericht der Delegationsreise im September 2025 - Prof. Dr. Angelika Nake

Ein Tag mit der Sozialen Arbeit in den Straßen von São Paulo
Bericht der Delegationsreise im September 2025 - Prof. Dr. Angelika Nake
Anlässlich unserer Delegationsreise nach Brasilien und Paraguay hatten wir die
Möglichkeit einen Tag mit Sozialarbeiter*innen in São Paulo (Brasilien) zu verbringen.
Der Kollege Prof. Dr. Ulrich Klüh vom Fachbereich Wirtschaft und ich (Prof. Dr. Angelika
Nake Fachbereich Soziale Arbeit) begannen den Tag früh vor der Kathedrale Sé in São
Paulo. Das Ziel war es, einen Eindruck davon zu bekommen, wie es sich anfühlt, in den
Straßen einer Stadt aufzuwachen, in der Obdachlosigkeit keine Ausnahmeerscheinung
ist und die staatliche Unterstützung in diesem Bereich eher unterrepräsentiert ist. Die
Einblicke wurden uns durch zwei sehr engagierte Organisationen ermöglicht, Rede Rua,
die mit Obdachlosen arbeitet, und dem Zentrum für die Integration von Einwanderern,
CIM. Wir bedanken uns sehr bei dem Präsidenten von Rede Ruas, Arlindo Pereira Dias
(SVD), ihrem Sprecher Alderon Costa, ihrer Geschäftsführerin Andreza do Carmo,
unserem Führer durch die Straßen Jovenil Ribeiro und Irmã Malgarete Conte (SSpS)
sowie all den anderen wunderbaren Menschen, die uns diesen Tag ermöglicht haben.
Schon der erste Blick vor der Kathedrale auf verschiedene Polizeitypen, die Art und
Weise, wie diese Einheiten agieren und auftreten, der zunehmende Einsatz mehr oder
weniger subtiler Techniken zur „Säuberung” des ö[entlichen Raums (wie der Einsatz von
Reinigungsfahrzeugen mit Wasserwerfern, das Aufstellen von Zäunen überall und
andere Techniken zur Schließung ö[entlicher Räume) war beeindruckend und für uns
schockierend.
 

 

Wir hatten die Möglichkeit mit einigen der Menschen, die hier leben, in Kontakt zu
kommen und diese erzählten uns ihre Geschichten. Das Hauptproblem ist die
mangelnde Achtung und die zunehmende Feindseligkeit gegenüber schutzbedürftigen
Menschen. Besonders Paula hat uns sehr beeindruckt, eine indigene Frau, die uns ihre
Geschichte erzählte und eine sehr beeindruckende philosophische Darstellung der
Bedeutung eines Zuhauses gab. Diese Wichtigkeit eines Zuhauses für Menschen, die
kein Heim haben, hat uns an diesem ganzen Tag begleitet und war immer wieder Thema
bei den Gesprächen. Die Hauptakteure in ihrem Netzwerk sind eine Gruppe von
Hunden, um die Paula sich kümmert, meist alte und schwache Tiere. Wegen dieser
Hunde hat sie keinen Zugang zu den normalen Unterstützungseinrichtungen für
Obdachlose, weshalb ihre menschlichen Freunde einspringen und helfen. Andere
Menschen kommen und geben ihr Almosen, wobei sie ausdrücklich betonen, dass diese
nicht für sie, sondern nur für die Hunde bestimmt sind. Paula fragt sich, wie sie mit
diesen Aussagen umgehen soll, die oft beleidigend gemeint sind, aber gleichzeitig
zumindest einigen Lebewesen Respekt entgegenbringen.
Paula berichtete aus der Perspektive der Indigenen darüber, was es bedeutet, auf der
Straße zu leben – eine Perspektive, die in vielerlei Hinsicht im Widerspruch zu den
gängigen Vorstellungen davon steht, was es bedeutet, „indigen” auf den Straßen von
São Paulo zu sein (Rede Rua hat tatsächlich verschiedene Projekte, die darauf abzielen,
Stereotypen über die Lebensweise der Indigenen in der Stadt entgegenzuwirken, siehe
zum Beispiel hier: www.rederua.org.br/popruaindigena). Auf die Frage, wie es
sei, kein Zuhause zu haben, antwortete sie: Aber ich habe ein Zuhause, so wie jedes
Lebewesen ein Zuhause hat, und jeder Mensch auch. Sie untermauerte ihre Hypothese
eindrucksvoll, indem sie erklärte, dass die „Territorien” des Amazonas, der Städte und
anderer ökologischer Gebiete ein Zuhause für alle Menschen und alle anderen
Lebewesen darstellen würden, wenn und nur wenn diese Häuser in Ruhe gelassen
würden. In Wirklichkeit sind diese Häuser jedoch Teil von Konflikten um Landbesitz,
deren gewalttätiger Charakter der Hauptgrund dafür war, dass Paula ihren Boden
mehrmals verlassen musste.
Die nächste Station an diesem Tag war ein Ort, an dem es seit langem Netzwerke für und
von schutzbedürftigen Menschen gibt, ein Ort unter der Schirmherrschaft von SEFRAS (
www.sefras.org.br) Früher gaben Franziskanermönche den Armen hier ein Stück
Brot und eine Tasse Tee (Chá auf Portugiesisch), weshalb dieser Bereich des Zentrums
heute als „Tee vom Priester“ oder „Chá do Padre“ bekannt ist. Unter der Leitung von
Franzikanermönchen werden den Obdachlosen hier Mahlzeiten und Unterstützung
angeboten.
 

Von „Cha do Padre” ging es weiter zu einer Organisation, die Obdachlosen Zugang zu
Ausbildung, Einkommen und Unterstützung zu verscha[en will, insbesondere im
Hinblick auf Umweltfragen wie Recycling und Nachhaltigkeitspraktiken. Reviravolta des
„Center Gaspar Garcia for Human Rights”: gaspargarcia.org.br/programareviravolta-
da-populacao-em-situacao-de-rua-abre-vaga-para-assistente-tecnicoambiental/.
Hier ging es besonders darum, die Menschen wieder in die Gesellschaft
einzugliedern, ihnen Arbeit und einen Tagesrythmus zu geben. Es gab eine ö[entliche
Tafel, auf der die nächsten Aufgaben der Personen aufgeschrieben waren, wie „Juan
geht diese Woche zum Zahnarzt“ oder auch kleine Motivationsbemerkungen.
Nach diesem Tre[en hatten wir ein fantastisches Mittagessen im Hauptquartier von
Rede Rua, welches ein wunderbares Beispiel der brasilianischen Gastfreundschaft war.
Wir erfuhren auch viel mehr über ihre Aktivitäten an der Schnittstelle von Forschung,
Aktivismus und dem Aufbau eines Lebensnetzwerks sowie über die Rolle, die die
Ökologie in der aktuellen Arbeit der Organisation spielt.
Nach dem Mittagessen gingen wir zum Centro de Integracao do Migrante (CIM), einem
Ort, an dem Flüchtlinge aus den Andenstaaten Unterstützung und Schulungen erhalten,
an dem sie sich vernetzen und organisieren können. Schwester Malgerete, das Herz des
Zentrums, erklärte uns, dass sie und ihr Team jahrelang als „eingebettete Forscher” in
Brás tätig waren, einem Stadtteil von São Paulo mit vielen Flüchtlingen, die oft unter
drastischen Ausbeutungsbedingungen leben. Besonders nimmt sich das Zentrum den
Kindern an, die aus den spanisch sprechenden Staaten Südamerikas kommen, kein
Portugiesisch sprechen und so von der Schulbildung ausgeschlossen sind.
Nach dem CIM trafen wir uns an einem der Orte, die Rede Rua
„https://www.rederua.org.br/chapelariasocial-iralberta”, den Obdachlosen in São Paulo
anbietet. Hier wurde uns noch einmal klar, wie wichtig solche Anlaufpunkte für
Obdachlose sind, Räume in denen sie sich sicher fühlen können, wo sie in Kontakt
treten können und die sie, für uns sehr berührend, als ihr Zuhause bezeichnet haben.
Der Kollege Prof. Dr. Uli Klüh hielt hier einen Vortrag über den Klimawandel und das
Verhältnis zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden, der mit großem
Interesse aufgenommen wurde.
Mit der Rückfahrt zum Hotel ging ein Tag in den Straßen von Sao Paulo zu Ende, der einer
der Tage war, die tiefe Spuren im eigenen Leben hinterlassen. Mit Menschen, die trotz
aller Probleme sehr empathisch und freundlich waren und uns ungeheuer freundlich
und warmherzig aufgenommen haben.
Den Vortrag und die Diskussion können Sie unter:
www.youtube.com/watch anschauen und nachverfolgen.